[Rezension] Lin Yutang - Peking: Augenblick und Ewigkeit

Rückentext:
This novel is neither an apology for contemporary Chinese life nor an expose of it, as so many recent Chinese 'dark curtain' novels purport to be. It is neither a glorification of the old way of life nor a defense of the new. It is merely a story of how men and women in the contemporary era grow up and learn to live with one another, how they love and hate and quarrel and forgive and suffer and enjoy, how certain habits of living and ways of thinking are formed, and how, above all, they adjust themselves to the circumstances in this earthly life where men strive but the gods rule.

Meine Meinung:
Dies ist der zweite Teil von Yutangs epischer Familiensage um Mulan und die Ihren. Bereits den ersten Teil, der während der Zeit des Boxeraufstandes spielt, begeisterte mich. Doch der Folgeband hat es mir sogar noch ein wenig mehr angetan. Noch einmal ein grosses Danke an die junge Chinesin, die mir diesen hierzulande praktisch unbekannten Autoren ans Herz gelegt hat.

Haben wir die Familie erst durch Mulans Kindheit und ihre Jugend begleitet, erleben wir nun die Erwachsenensjahre unserer Heldin mit. China ist noch immer im Umbruch, führerlos und verwirrt. Das Land jagt von einer Katastrophe in die nächste. Und mittendrin müssen Mulan, Shunya, Lifu und die Anderen ihre Leben leben.

Yutang schafft es, eine perfekte Balance zwischen Gesellschaftsstudie und Familiengeschichte herzustellen. Indem er seine Figuren durch die jeweiligen historischen Ereignisse führt, erfährt der Leser sehr viel über die Geschichte Chinas. Ein Thema, das vor allem im Westen kaum bekannt ist. Wir kennen China als Grossmacht, "Made in China". Was dieses Land aber alles durchmachen musste, ist den wenigsten Westlern wirklich bekannt.

Ursprünglich auf Englisch verfasst, wurden Yutangs Bücher ins Chinesische übersetzt und wurden dort sehr populär. Schade, dass die Titel auf Deutsch  nicht mehr neu aufgelegt werden, verdient hätten sie es. Vom Übersetzer der deutschen Ausgabe ist nur der Nachname bekannt. Doch obwohl ich keinen Vergleich habe, sage ich, dass die Übersetzung aus dem Englischen wirklich gelungen ist.

Das Buch lässt sich sehr schön lesen, man spürt die Sprachmelodie, die dem Mandarin und dem Kantonesischen eigen sind. Meine Ausgabe erschien 1943 in Zürich, als Leser muss man sich also im Klaren sein, dass damals noch andere Rechtschreibregeln galten und diverse ältere Ausdrücke im Text verwendet werden. Diese Mischung aus poetisch geschriebenem Original und altem deutschen Sprachzauber zogen mich unweigerlich in diese vergangene Welt. Das Buch wird von einem Gefühl wie Seide begleitet, ein Gefühl nach der Glücksfarbe rot und krachendem Feuerwerk.

Doch die Familien haben einiges zu erdulden. Die Hauptfiguren sind nicht vor Leid gefeit, das kann kaum jemand sein, wenn ein Land dermassen durchgerüttelt wird. Seit der Öffnung bis nach dem Zweiten Weltkrieg kam China kaum einmal zur Ruhe, eine Revolution jagte die nächste. Immer wieder heisst es für die Familie Yao und Tseng sich einen Platz in diesen Wirren zu suchen, zu verteidigen und allenfalls aufzugeben.

Der Autor bringt das dabei fertig, so wenig wie möglich über seine Figuren zu urteilen. Manche von ihnen mögen z.B. blind sein vor Hass auf die Japaner, doch findet sich irgendwo jemand, der dies ausgleicht. Yutang hat das Prinzip von Yin und Yang in seinen Büchern angewandt und das merkt man in jeder einzelnen Zeile.

Ich könnte noch weiter über die "Peking"-Bücher schwärmen, doch man muss es selbst erleben. Selbst eintauchen, selbst fühlen und spüren. Wer die Möglichkeit hat, diese Bücher irgendwo zu ergattern - greift zu! Entdeckt eine neue, schon vergangene Welt und den Zauber Lin Yutangs.


Lin Yutang
Peking 2
Augenblick und Ewigkeit
HC mit Schutzumschlag, 1943
Büchergilde Gutenberg

Aus dem Englischen von L. Rossi
Originalausgabe: Moment in Peking

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